Hey, Dirtbag Baby!

Ich sehe was, was Du nicht siehst, und das heißt Bot.

Ausgangspunkt meiner Recherche eines kulturell-anthropologischen Phänomens war eine kaum merkliche, unterbewusste Verschiebung meiner Wahrnehmung der massenweise mittels Feeds eingestellten Bildströme im World Wide Web. Dieses subjektive Ereignis innerhalb meiner normalen Rezeptionsroutine gestaltete sich derart, dass scheinbar zufällig entstehende neue Bildbeziehungen von Bildern plötzlich begannen sich zu verselbständigen. Von einer visuellen Analyse versprach ich mir Aufschluss über die besondere Ästhetik und deren vermutete Herstellungsweise in der Produktion. Ich war generell auf der Suche nach allem was den Hashtag #pale grunge zu tragen pflegt.

Die Bilderwelt des sogenannten Pale Grunge habe ich in meinem Konzeptpapier und in meiner Pressemitteilung ausführlich beschrieben. In Wikipedia ist der Eintrag der diesen Modestil beschreibt überraschender Weise größer als der simple Eintrag für die Musik, die als Grunge bekannt ist, diesem ursprünglichen Subgenre der Popkultur der Neunziger. Lockere, gebraucht aussehende Kleidung ist seit jeher eine Identifikationsoption zwischen den empfindsam-empfindlichen jugendlichen Fans eines Musikstils und vor allem was als Mainstream gilt. Da Grunge ein Kind des Punk ist, trägt dieser Stil ein Quäntchen Unangepasstheit stets mit sich herum. Grunge, das ist idealtypischer Weise der Dreck unter den Fingernägeln der Töchter und Söhne der Holzfäller in Seattle im US-Staat Washington. Hier trägt der Blue Collar Worker seine grobe und bequeme Funktionskleidung mit stolzer Selbstverständlichkeit zur Schau. Hier ist der Ursprung einer evolutionären Entwicklung der visuellen Erscheinungsformen einer Billigmode für internet-affine Teenager. Nach 20 Jahren, mit dem populär werden des Internets, und auch durch das Aufkommen von Bilder- Platformen wie tumblr, hat diese Jugendbewegung eine beachtenswerte Dynamik von der Musik ins Visuelle demonstriert.

Der Grunge-Stil, geprägt durch sein Idol Kurt Cobain machte das karierte Holzfällerhemd kombiniert mit zu großen Jeans, die in gelb-beigen Doc Martins enden zum prägnanten Vehikel einer visuellen Reise. Dieser Trip ist ein Farb- und Formenspiel von unzähligen Kombinationen und Ausformungen eines durch definierten Looks in den Farben Pink, Babyblau, und Schwarz und Weiss. Auf tumblr, Pinterest und Instagram entstanden Bilderströme, die einer weiblich geprägten Mode und eines gemäßigten Konsums zusprechen. Vom Garage-Sale und Humana-Trödel zum Shoppingclub der bestellsüchtigen Bohos ist eine evolutionäre Entwicklung zu verfolgen, die einen besonderen Einflussfaktor sein eigen nennt: den Algorithmus nämlich, der diese Pinterest- oder Insta-Feeds per sogenannten Bots automatisch vorselektiert und steuert.

“Die Grenze zwischen Werbung und authentischen Beiträgen verwischt nicht mehr nur, die Werbung selbst wird zum authentischen Beitrag.” (Anika Meier, Die Zeit)

Wenn also Werbung als authentische mitmenschliche Äußerung gilt, die ein Computerprogramm millionenfach ins Internet spült, dann hat die Unterscheidungsfähigkeit eines einzigen menschlichen Wahrnehmungsvermögens einen schweren Stand sich gegen die Algorithmen aufzulehnen und nach einem sozial-psychologischen Rückhalt in einer menschlichen Gemeinschaft zu suchen. Der sensus communis, grundsätzlich schlicht der Gemeinsinn, kann ja nicht von Programmen erzeugt werden, sondern nur durch Individuen von Pinterestern und Instagrammern menschlicher Art.

Auf den Entdeckerseiten von Instagramn sind seltsam warm-kalte Bildkombinations- Anmutungen zu beobachten, die, wie ich nach jahrelanger Recherche nun sagen kann,
nicht Menschen, sondern Programme, sogenannte Bots sind. Es sind Feeds die ein mathematisches Kalkül errechnet und nicht etwa die post-modernen Poesiealben attraktiver, weiblicher Millennials. Wovon ich spreche ist nicht der Grunge-Fan-Feed einer 16-jährigen, das hier ist ein Bot, dessen Zweck es ist Kleidungsmarken und Stile im Kommunikationskanal Instagram präsent zu halten mit Hilfe einer ständigen Umwälzung des ewig Gleichen. Nietsches Uroboros, die Schlange der ewigen Wiederkehr, hat sich hier unbemerkt ins 21.Jahrhundert geschlängelt. Gleichsam wie bei der Bild-Plattform tumblr, mit seinem unendlich variierenden Bildwechseln und seinen um sich selbst drehenden Eiswürfel, dem Tumblr im Whisky-Glas, der eben diesen Namen trägt.

Punk und Pale entwickeln sich ständig weiter, allerdings nun unter Beihilfe von Bots, die die Innovationszyklen stets verkürzen, und bald nur noch durch sich selbst kommentiert sind. Der Stil, das ist die Maschine, die die Bilder mischt. Und kein menschliches Unterscheidungs- vermögen mag dabei den Fake, der als authentisch daher kommenden Werbefeeds erkennen können. Den Bildkombinationsmöglichkeiten eines mathematischen Manipulations- und Multiplikationsmechanismus entkommt kein unschuldig dahin flanierender Augapfel. Meine Arbeitsmethode ist es eine sich annähernde Nachinszenierung zu gestalten. Die Elemente eines jeden zugänglichen Alltagsmodestils für mich selbst, in der fotografischen Praxis im Studio, nutzbar zu machen ist mein Ziel. Der vorerst unbekannte Hashtag: #German Grunge macht so vielleicht seine Runde.

Dasselbe gilt in Zukunft auch für den Modetrend im Umfeld der Fitness-Industrie, der “Athleisure”-Trend. Fitness- und Sportkleidung, von Yogapants, über Yogaschuhe, die aussehen wie aufgeschnittene Sneakers, bis zum Sport-BH mit Riemchen reicht der neue Trend der unter anderem seit 2015 in den instagram-Feeds zu sehen ist. Sportliche Funktionskleidung wird immer mehr auch in nicht sportlich geprägten Kontexten getragen. Rapper in Adidas erscheinen nicht übermäßig fehlgekleidet und der Tip: mit Yogapants in den Abend, macht Furore. Kylie Jenner macht es vor, die Follower klicken den Bestell-Button. Ein Klick gebiert den nächsten Konsum. Sei es nachhaltig veganes Leder, oder eine synthetische Bluse aus dem 3-D Printer: die Vorsilbe “Ath” steht für athletic, sowohl auch für aesthetic. Somit vereint der Trend beides: den durchtrainierten Körper mit dem ewig wandernden Auge eines unstillbaren Konsumenten. Ob dieses Auge durch ein menschliches Gehirn selbstgesteuert ist, ist mir mit der Zeit zunehmend immer fraglicher geworden.

 

Peer Hunsicker 2017